Bericht von der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2023

Am Freitag den 27. Januar 2023 fand zum 26. Mal in Karlsruhe die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus im Ständehaussaal statt. Seit 1997 organisiert die Stadt Karlsruhe eine solche Veranstaltung mit wechselndem Fokus auf verschiedene Opfergruppen und lädt Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, Organisationen und Vereine aus Karlsruhe ins Publikum ein. In diesem Jahr hat sich die Gedenkveranstaltung nach 2004 zum zweiten Mal der Verfolgung Homosexueller und queerer Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus gewidmet.

Die Redebeiträge von Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, der über das Gedenken aus Sicht der Stadt Karlsruhe sprach, und dem Historiker Dr. Christian Könne, welcher über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema des Abends berichtete, wurden vom Holzbläsertrio des BuschKollegiums mit einer passenden Auswahl an Werken von Max Reger, Stefan Wolpe und Johann Sebastian Bach, umgesetzt für eine Klarinette (Bettina Beigelbeck) und ein bis zwei Oboen (Antoine Cottinet und Petar Hristov), musikalisch eingerahmt und begleitet.

Wir wollen hier über diesen Abend und die vermittelten Inhalte berichten, da wir der Meinung sind, dass diese nicht nur im Kreise der Besucher der Veranstaltung bleiben sollten.

Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup eröffnet den Abend.

Er berichtet über die aktuellen Entwicklungen der Gedenkkultur in Karlsruhe. Dr. Mentrup hebt hervor, wie sich die Gedenkkultur weiterentwickelt habe. Er weist z.B. auf einen neuen Bereich "Erinnerungsstätten" auf der Karlsruher Webseite hin, in dem in einem interaktiven Stadtplan erinnerungswürdige Orte in Karlsruhe gefunden werden können. Dort seien auch alle Stolpersteine verzeichnet. Es gäbe neue Stelen mit Bezug zu Opfern des Nationalsozialismus auf dem Hauptfriedhof. Auch wie wichtig ein lokaler Bezug sei, betont Dr. Mentrup. Es gäbe zahlreiche Orte in Karlsruhe, die sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten verbinden ließen. Dr. Mentrup weist auch darauf hin, dass mittlerweile oft dem antisemitischen, rassistische, homophoben, ... Reden auch das Handeln folgt. Er bekräftigt, dass Karlsruhe sich diesem immer klar entgegenstellen werde und es die Aufgabe sei queeres Leben in Karlsruhe sichtbar zu machen und queeren Menschen Mut zu machen sichtbar zu sein.

Den Hauptteil des Abends nimmt der Redebeitrag von Dr. Christian Könne ein.

Dr. Christian Könne forscht seit vielen Jahren über queere Geschichte in Nordbaden und der Pfalz und im Rahmen dessen neuerdings auch über queere Geschichte in Karlsruhe. Er ordnet zu Beginn seines Redebeitrag zunächst ein, dass er zwischen Homosexuellen und queeren Menschen allgemein trennen müsse, da es wesentlich mehr Belege zu Homosexuellen gäbe. Wir erfahren, dass Belege für eine "Homosexuellen Bewegung" schon in den 1890er und auch in der Weimarer Republik zu finden seien. Auch zu dieser Zeit gab es den § 175 schon (eingesetzt mit Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches 1872), der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellt.

Dr. Könne weiß zu berichten, dass es zu dieser Zeit bereits einschlägige Zeitschriften gab. Man fände auch homosexuelle Kontaktanzeigen. Auch in Karlsruhe habe es viele Orte gegeben, an denen sich Homosexuelle treffen konnten. Nicht nur in Berlin, betont er. Es habe schon eine deutliche Sichtbarkeit Homosexueller in den 1920er gegeben. Es habe sogenannte "Freundschaftsbünde" auch in Karlsruhe gegeben, wo dieser sogar bis 1933 im städtischen Adressbuch gelistet gewesen sei, was laut Dr. Könne ein Alleinstellungsmerkmal Karlsruhes in Baden-Württemberg sei. Es sei auch belegt, dass unter den Unterzeichnern einer Petition zur Abschaffung § 175 15 hochgestellte Karlsruher waren. In den 1920er seien aber auch die Nationalsozialisten schon aktiv gegen Homosexuelle aufgetreten, z.B. in einer Rede von Wilhelm Frick, späterer "Reichsminister des Innern", 1927 im Reichstag, in der er erklärt, dass aus Sicht der NSDAP die widernatürliche Unzucht unter Männern mit aller Schärfe verfolgt werden müsse.

Unter den Nationalsozialisten seien alle diese Strukturen zerstört und die "Freundschaftsbünde" aufgelöst worden, führt Dr. Könne weiter aus. 1935 sei der § 175 verschärft worden. Ab dann habe schon ein unzüchtiger Blick, im damaligen Juristendeutsch ein "ideeller Koitus", für eine Verurteilung nach diesem Paragraphen genügt. Nun seien homosexuelle Männer zu Volksfeinden (da sie zum Untergang des deutschen Volkes führen würden) und Staatsfeinden (weil sie dem "Männerstaat" schaden würden, wenn z.B. bei der Besetzung von Position optische Gesichtspunkte für die Auswahl im Mittelpunkt stünden) geworden, erläutert Dr. Könne.

Die Erforschung lesbischer Biographien sei schwieriger, erklärt Dr. Könne. Wir erfahren, dass frauenliebende Frauen schon in der Weimarer Republik die am schlechtesten abgebildete Gruppe gewesen seien, unter den Nationalsozialisten finde man aber gar keine Berichte mehr. Es habe auch keinen eigenen Paragraphen für homosexuelle Frauen gegeben, da dieser aus Sicht der Nationalsozialisten nicht nötig gewesen sei. Sie seien der Meinung gewesen, dass diese weniger verbreitet seien und von ihnen auch weniger Gefahr der Verderbnis und keine Gefahr der "Vergeudung der Zeugungskraft" ausginge. Durchaus seien frauenliebende Frauen aber verfolgt worden. Es sei auch zum Teil dokumentiert, dass es sich Frauenpaare handelte. Aber die Spurensuche sei schwieriger, weil diese oft als "asoziale" oder "hysterische" Frauen angeklagt worden seien und nicht als homosexuelle.

Auch die Suche nach trans* und intergeschlechtlichen Personen sei schwierig. Trans* Frauen seien unter § 175 oft als homosexuelle Männer verurteilt worden. Auf intergeschlechtliche Personen finde man nur indirekte Hinweise. In seiner Forschung in den letzten 4-5 Jahren fand Dr. Könne keinerlei Hinweise auf frauenliebende Frauen, transidente oder intergeschlechtliche Personen aus Karlsruhe.

Im weiteren Verlauf des Beitrags zeigt Dr. Könne wie alleine über die Anzahl von Presseberichten auch in Karlsruhe deutlich die Orchestrierung der gleichgeschalteten Presse und Propaganda unter den Nationalsozialisten zu erkennen ist. Die Zahlen stimmten nicht mit den tatsächlichen Zahlen der Verurteilung überein, dazu seien die Zahlen des Oberlandesgerichts abweichend, welche nahezu eine Verzehnfachung der Anklagen in den Jahren 1937/1938 gegenüber dem Kaiserreich zeigten. An einer Altersübersicht basierend auf den Presseberichten in Karlsruhe dürfen wir erkennen, dass 60 % der angeklagten Männer jünger als 30 Jahre waren, der jüngste berichtete Fall aus Karlsruhe sei 16 Jahre alt gewesen.

Auch die Härte der Strafen habe unter den Nationalsozialisten zugenommen. Der Anteil an Gefängnisstrafen sei im Vergleich zu Geldstrafe angestiegen. Ebenso die Länge der Gefängnisstrafen. Wir hören, dass kein anderes Oberlandesgericht in Baden-Württemberg so scharf nach § 175 verurteilt habe, wie das Karlsruher. Kamen homosexuelle Männer in ein Konzentrationslager, so seien sie auf der untersten Stufe in der Lagerhierarchie gewesen, und hätten, zusammen mit Juden, die höchste Mortalitätsrate gehabt, weiß Dr. Könne zu berichten. Die Nationalsozialisten hätten homosexuelle Männer auch zu Zwangssterilisation oder Zwangskastration verurteilt und hätten Versuche an homosexuellen Männern durchgeführt, diese auf medizinischem Wege heterosexuell zu machen.

Dr. Könne schließt seinen Redebeitrag mit der Erkenntnis, dass es noch sehr viele Fragen gäbe, aber auch eine sich verändernde Erinnerungskultur, z.B. mit dem Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, das mit wechselnden Video-Sequenzen nicht nur homosexuelle Männer als Opfer beleuchte.

Im Rahmen der Fragerunde im Anschluss des Redebeitrags von Dr. Könne betont Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup noch einmal wie wichtig es sei individuelle Biografien der Opfer zu kennen, um diesen gerecht zu werden und ihnen angemessen Gedenken zu können. Im weiteren Verlauf wird aber auch klar, dass Sichtbarmachen auch Grenzen hat. Dr. Könne erklärt, dass personenbezogene Daten aus Archiven einem Schutz unterlägen und auch für Informationen, die in Zeitungsarchiven gefunden wurden, durchaus unterschiedliche Meinungen existierten, ob diese uneingeschränkt erneut veröffentlicht werden dürfen.

Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup schließt den Abend mit dankenden Worten und weist noch einmal darauf hin, wie wichtig die Verknüpfung der Karlsruher Geschichte mit der bundesweiten Geschichte sei, auch weil sie sich durch die hohen Gerichte und Bundesinstitutionen, die in Karlsruhe angesiedelt sind, oft gegenseitig beeinflusse.